Öffentliche Verkehrsmittel sind toll, einfach toll. Statt dich über Idioten auf der Strasse zu ärgern, kannst du einfach mal die Seele baumeln lassen. Als mein regelmässiger Leser weisst du natürlich, dass ich dabei auch gerne die Menschen um mich beobachte. Diesem Hobby könnte ich in einer Blechkiste nicht frönen!
Es fühlt sich wie ein normaler Abend an. Nichts Besonderes. Ich schnappe mein Smartphone und spiele ein wenig. Die Gespräche um mich herum zeugen von abwesender Intelligenz. Leider sind sie nicht so flau, dass sie eine interessante Richtung einschlagen könnten. Aber vielleicht verpasse ich auch die bemerkenswerten Inhalte weil ich spiele. Also kurz das Elektronikteil ausschalten und die Augen schliessen. Nein lieber Leser, nicht alle mit geschlossenen Augen im Zug schlafen auch…
Doch auch den Schlafenden vorzugeben bringt keine Verbesserung. „Schau mal was da in der Abendzeitung steht…“ Abendzeitung? Diese kostenlosen Blätter, die überall an den Stationen herumliegen, verdienen den Namen Zeitung nicht. Genauso gut kannst du dir auf einen Ticker abonnieren. Meldungen von Depeschenagenturen werden eins zu eins kopiert. Nicht mal offensichtliche Schreibfehler werden korrigiert. Soll ich mal ein Auge öffnen? Soll ich mir einen Blick auf einen Menschen erhaschen, der dies sogar informativ findet? Ich entscheide mich dagegen.
Schon wühlt sich ein Gedanke nach oben. Ich fühle bereits, dass er mich erlösen will. Langsam erkenne ich den Inhalt, ein einzelnes Wort: Musik. Ich finde mich damit ab, ohne gute Geschichte aber mit etwas Musikkonsum den Rest meiner Fahrt zu erleben. Blind taste ich in meiner Tasche nach den Kopfhörern. Wieso müssen sich diese Kabel immer verknoten? Widerwillig öffne ich die Augen und mache einen auf Klein-Houdini. Nach gefühlten 10 Minuten ist das Kabel von allen Knoten befreit Ich stecke den Stift in meinen MP3 Player. Genau in diesem Moment wird meine Geduld doch noch belohnt.
„Warst du auch so besoffen?“ … „Ich weiss gar nix mehr.“
Entweder ist es ein Zugunterhalter – was ich bis heute nicht erlebt habe – oder sein Gesprächspartner sitzt am anderen Ende des Wagens. Da mir aber die Antworten fehlen, suche ich nach dem Schreier. Er sitzt etwas weiter vorn und hält sich ein antiquiertes Telefon ans Ohr. Ja, ich übertreibe etwas, aber im Zeitalter von Smartphones fällt jeder mit einem Tastenhandy unweigerlich auf. Auf Grund der Aussagen habe ich einen Mann Anfang Zwanzig erwartet. Was aber dort in die Muschel schreit ist eher Mitte Dreissig. Gut, Männer pubertieren spät…
„Weisst du, wer die Fotos mit meinem Handy gemacht hat?“ Ich stelle mir mal die Qualität der Fotos vor. Vermutlich ist Minecraft ein hochauflösendes Spiel dagegen. „Ja, ich hatte am Morgen einige Fotos von mir und der Anderen drauf.“ Die arme Frau hat keinen Namen! „Nein ich kann mir nicht vorstellen, wer das war. Also das mit den Fotos meine ich.“ Vermutlich trifft das auf die Frau auch zu. Es folgt ein hin und her von Namen. „Nein der auch nicht. Aber vielleicht Franz… Ach nein, der war ja nicht dabei.“
Meine Station ist nur noch ein paar wenige Minuten entfernt. Ich nehme an, dass er und sein Gesprächspartner bis dahin nicht herausfinden, wer den Auslöser gedrückt hat. Während ich mich vor lehne, um den Typen besser zu sehen, merke ich, wie praktisch alle im Wagen auf ihn fixiert sind. Er scheint davon unbeeindruckt zu sein oder tut zumindest so. Er ist – nett ausgedrückt – schlecht rasiert, trägt eine ausgebeulte Jeans und ein schlabbriges Sweatshirt. Alles in Allem ein Erscheinungsbild, dass mich eher verleitet die Münzen in meiner Tasche zu suchen, statt zu grüssen. Dann fällt mir etwas an einer seiner Hand auf…
Langsam stehe ich auf und gehe gemächlich den Weg zur Türe, der an ihm vorbei führt. Er merkt gerade, dass die Suche nach dem Fotografen erfolglos bleibt und beendet das Telefonat. Auf seiner Höhe grinse ich ihn frech an, hole kurz Luft und sage: „Nachdem du es allen hier drin erzählt hast… Weiss deine Frau, was du so machst?“
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