Flashedgescheit

Liebe Leser, nein ich bin nicht einfach von der Bildfläche verschwunden. Auch habe ich mir nicht einen monatelangen Sommerurlaub gegönnt. Ganz einfach: Mein Leben hat sich etwas verändert und ich brauchte die Zeit. Das klingt ja wie, ich war jung und brauchte das Geld. Doch nun ist der Schreiberling wieder zurück und blogt brav.

Ich möchte euch natürlich wieder an meinen Erlebnissen teilhaben lassen. Die Welt ist so ein verrückter Ort.

Ein langer Arbeitstag geht zu Ende. Später als sonst warte ich auf einen Zug, der mich heimlwärts fährt. Obwohl ich etwas müde und leicht frustriert wegen der späten Stunde bin, freue ich mich auf neue und unbekannte Menschen um mich herum. Wie immer lasse ich den Blick über die wartende Menschenmenge auf dem Bahnsteig gleiten. Sieht nicht sehr spannend aus. Na gut, der Zug bringt ja ein paar Homo Sapiens mit. Manchmal sind die Beobachtungswürdigen am Bahnhof ganz unauffällig. Wenn nicht, hätte ich ja auch noch ein Buch zu lesen.

Der Zug kommt und nachdem ungefähr 80 Prozent der Fahrgäste ausgestiegen sind, strömen nahezu gleich viele neue wieder in die Wagons. Ich ergattere mir einen Sitz, bei dem ich notfalls auch etwas dösen könnte. Meine Tasche verstaue ich zwischen meinen Füssen und versuche meine Lieder offen zu halten. Ein nicht einfaches Vorhaben ist das. Doch da ziehen Gesprächsfetzen an meinem Ohr vorbei, die mein Interesse wecken. Ein Pärchen unterhält sich über die Artikel einer typischen Gratis-Abend-Zeitung. Nach ein paar Sätzen revidiere ich meinen ersten Eindruck, es handelt sich um eine junge Frau und einen etwa gleichaltrigen Mann. Ein Paar sind sie aber nicht. Das Gespräch verdient es trotzdem mitgehört zu werden.

Sie landen bei einem Artikel über einen Mann, der wegen der bevorstehenden Scheidung seine Kinder und sich selbst umgebracht hat. Nein, lieber Leser, darüber mache ich mich nicht lustig, weil es traurig ist. Doch die Art, wie diese beiden den Fall kommentieren, lässt meine Mundwinkel zucken.

„Wenn er nicht schon tot wäre, würde ich ihn umbringen.“ Ich widerstehe der Versuchung die Dame zu fragen, welchen Grund es für einen Mord dabei gäbe. Die folgenden Titel für den Mann im Artikel erspare ich euch an dieser Stelle, sonst müsste ich den Blog mit einem Kinderschutz ausstatten.

Mit der Zeit kommt, was kommen musste. Sie heben sich gegenseitig in den Himmel, wie gut ihnen doch ihre Intelligenz tut. Durch ihr Wissen (von was ?) und das Abschätzen der Konsequenzen (aha!) würden sie nie so etwas tun. Das hat dieser Mann mit Anfang Zwanzig sicher auch von sich behauptet. Immerhin kommen die beiden zum Schluss, dass sie ihr Leben perfekt im Griff haben und es nicht besser sein kann. Ich schlucke einen sarkastischen Kommentar unausgesprochen herunter. Langsam schliesse ich meine Augen wieder, da jetzt nicht mehr viel spannendes kommen kann. Weit gefehlt!

Plötzlich und ohne erkennbaren Anlass sagt die Frau „Heute Abend kiffe ich eins.“. Meine Ohren spitzen sich förmlich. „Kiffst du auch?“

„Nein schon lange nicht mehr.“ Er scheint das Thema unangenehm zu finden und erklärt ihr, dass ihm das nichts bringt. Ganz zu schweigen vom herausgeworfenen Geld.

„So teuer ist das nicht. Gut ich habe da einen Freund…“ Dann erklärt die Gute ihm, wie einer ihrer Freunde sie regelmässig und kostenlos mit den entsprechenden Pflanzen eindeckt. Ich frage mich kurz, wie legal das ist. Mitten in der Lobrede auf leichte Drogen hält sie inne. „Scheisse!“

Ich öffne meine Augen und sehe ihren Begleiter sie fragen anblicken. Verletzt ist sie nicht, also kann es nicht schlimm sein. Mit einem tiefen Atemzug lässt sie verlauten: „Ich habe kein Zigarettenpapier mehr.“ Damit zückt sie ihr Handy und wählt eine Nummer.

„Hey ich bins“ … „Sag mal, hast du noch Papier zum Drehen?“ … „Nein ich habe keines mehr, darfst aber mit rauchen.“ … „Nein, ist doch kein Problem. Papa weiss, dass ich kiffe.“ … „Er hat mich schon mal dabei gesehen.“ … „Jetzt mach dir nicht in die Hose!“ … „Also wir reden, wenn ich zu Hause bin.“

Die Frau, die ihr perfektes Leben im Griff hat, legt auf. Da ihr Bruder nicht so hilfsbereit war, wie sie erwartet, ist für sie das Thema Gras wohl beendet.

„Du glaubst nicht, wie müde ich bin!“ Oh, nun also noch etwas Mitleid fordern. Er steigt nicht direkt darauf ein. „Ja, ich auch. Hatte viel zu tun heute.“

„Ich nicht. Ich konnte länger schlafen, weil mein Boss gemeint hat, es ist ja kaum Arbeit da. So war ich erst um halb Zehn im Büro. Wir hatten gar nichts zu tun, darum haben wir den ganzen Tag nur getratscht und Kaffee getrunken. Mehr habe ich nicht gemacht.“ Ein Grinsen macht sich auf ihrem Gesicht breit. Ich bin mir sicher, dass er krampfhaft ein Augenrollen unterdrückt. „Ich bin so froh, dass ich genug intelligent bin!“ Ich frage mich, wie dieser Satz zu ihrem faulen Tag passt. Da meine Zielstation gleich kommt, werde ich es wohl auch nicht erfahren. Ich greife meine Tasche, stehe auf und versuche mich mit einem Gesichtsausdruck, der aussagen soll: Danke für die Belustigung in der letzten halben Stunde und ich weiss mehr als du. Eine Mischung aus Freude und Arroganz ist für ein müdes Gesicht ein schwieriges Unterfangen.

Auf ihrer Höhe raune ich: „Du bist auch Flashed-Gescheit.“ Das wird sie eine Weile beschäftigen und ihr Begleiter versucht gerade nicht laut zu lachen.


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