Wenn du, lieber Leser, ab und an mit öffentlichen Verkehrsmitteln (insbesondere dem Zug) unterwegs bist, kennst du diese Sorte Mensch. Meist Business Leute, chic angezogen, mindestens ein Smartphone neben dem Laptop und natürlich ein Headset am Ohr. Sie können eine Ewigkeit mit einem Geschäftspartner lauthals Strategien diskutieren. Schliesslich sollen alle um sie herum hören, dass sie mit einem Helden reisen. Ich bin überzeugt, dass es Geschäftsmenschen braucht, aber die echten Macher fallen weniger auf.
Diese eben beschriebenen Mitbürger sind ja auch noch gesundheitsbewusst. Nicht nur beim Essen, nein ihr mobiles Büro tragen sie ergonomisch mit sich herum. Habe ich gerade „tragen“ geschrieben? Nein, der Ergonomist von heute trägt nicht, er rollt. Diese Business Rasse packt schon zehn Minuten vor der Zielstation ihr Büro – Laptop, Ordner, Tablett usw. – in ein hübsches Aluminiumköfferchen, das nicht grösser ist, als frühere Aktenkoffer. Nur etwa doppelt so dick. Wenn du nun denkst, da sei mehr Platz vorhanden, weit gefehlt. Die zusätzliche Tiefe wird nur für das teleskopische Gestänge verwendet. Durch die geringe Höhe muss die Stange in mindestens vier Teile zusammenschiebbar konstruiert sein.
Genau so ein Individuum sitzt mir gegenüber. Der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung muss sich eine Hymne an Eigenlob über sich ergehen lassen. Wenn nur die Hälfte seiner Verkaufsstrategien stimmten, müsste ich diese Person umgehend abwerben. Doch meine innere Stimme hält mich nicht nur davon ab. Vielmehr spielt sie AC/DC und Aerosmith zusammen ab, um das Geplappere zu übertönen. Wieder bei Sinnen schweift mein Blick über die Auslage meines Gegenübers. Eine Schnellheftermappe mit ein paar netten Kuchendiagrammen, ein Laptop mit blendend hellem Display – auf das ich nur von der Rückseite sehe – und der klassische Rollkoffer, offen mit einer Unzahl an verschiedenen Stiften. Interessanterweise ist auf den Arbeitspapieren kein einziger handgeschriebener Buchstabe. Ich vermute, dass die Stifte bereits beim Kauf des Koffers darin waren.
Mit einem Blick auf die Uhr will ich feststellen, wie lange diese unfreiwillige Sitzung noch geht. Als ob das ein Stichwort ist, beendet das Businessgeschöpf das Gespräch mit den Worten: „Meine Station kommt, ich muss auflegen.“ Die Ankunft ist ja schon in zehn Minuten und Panik macht sich breit, ob es denn auch zum Packen reiche. Keine zwei Minuten später ist alles fein säuberlich verstaut und die Person springt auf, schnappt den Koffer und eilt Richtung Türe. Ich verkneife mir ein ‚bis später‘. Mein Blick schweift über die vorbeiziehende Landschaft vor dem Fenster. Ungefähr 40 Sekunden vor der Station, an der ich auch aussteigen muss, schlüpfe ich in meine Jacke und schultere meinen Rucksack. Viel zu früh! Denn ich bin der Erste, abgesehen vom Aluminiumköfferchen. Ich bin mir sicher, dass ich wiedererkennt werde, obwohl das Wesen keine Miene verzieht.
Der Zug hält, die Tür öffnet sich (ohne mein Zutun gemäss Heute schon gedrückt?) und dann passiert es. Das Geschöpf tätigt genau einen Schritt, steht direkt vor der Türe und bückt sich, um den Koffer abzustellen. Langsam, in einer gefühlten Zeitlupe die den Flügelschlag eines Kolibris in Einzelbilder zeigt, wird das Gestänge ausgefahren. Der schwarze Griff umklammert, nur um nach zwei weiteren Schritten wieder stehen zu bleiben und sich suchend umzusehen. Ist ja nicht so, dass der Bahnsteig etwa zehn Meter breit ist. Ich quetsche mich zwischen dem Akuminiumklotz und den zum Einsteigen wartenden Leuten durch, nicht ohne mürrisch zu knurren. Damit wäre für mich die Angelegenheit erledigt. Wie ich mich täuschen kann.
In der Haupthalle des Bahnhofs, wo um diese Urzeit immer ein Gewusel an Menschen aller Altersklassen herrscht, vollführe ich meinen Gang im Zickzack um die langsameren oder gar stehenden Mitmenschen herum. Da werde ich überholt. Normalerweise geschieht dies nur von Leuten, die rennen, um den Zug zu erwischen. Doch dieses Erscheinungsbild ist mir sehr bekannt. Man sieht sich im Leben immer zweimal, heisst es, aber gleich dreimal innerhalb einer Stunde? Den Fifi nach sich ziehend, mit einem Gang wie ein sich wieder nach vorne drängelnder BMW Fahrer, den du gerade überholt hast, zieht das Geschäftmenschchen an mir vorbei und drängt sich so knapp vor mich, dass mich der Koffer am Bein streift. Ohne zu zögern rufe ich: „Ein Rollkofferterrorist!“ Die nahe Polizeipatrouille hebt sofort die Köpfe und schaut interessiert umher. Ich tauche in der Menge ab und denke an die Schlagzeile in den Online-Zeitungen.
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