Überwachung mal anders

In der kalten Jahreszeit fahren mehr Menschen mit dem Zug. Dies ist vermutlich auch der Grund, weshalb ich bei meinen kleinen Reisen öfter kuriose Dinge erlebe.

Es ist Abend und ich steige in den Zug, der mich nach Hause bringen soll. Normalerweise hat es auf dieser Verbindung einige Fahrgäste, aber trotzdem ist immer ein Sitz frei. Nur jetzt scheint der Zug fast voll. Dies obwohl gerade eine grössere Menge Menschen das Gefährt verliessen. Mit einem kurzen Blick finde ich einen Sitz unweit einer Schulklasse. War wohl ein Schulausflug und die Heranwachsenden sind auf dem Heimweg. Der Lautstärke und Themen ihrer Gespräche nach ohne Lehrperson.

Schon habe ich meine Kopfhörer in der Hand und will die lautstarken Unterhaltungen ausblenden, da schnappe ich etwas auf, das mein Interesse weckt.

„An meinem Rucksack ist eine Kamera, aber ich weiss nicht wo.“ Ein Rucksack mit technischen Gadgets, cool. Darüber möchte ich mehr hören. „Der Typ weiss sogar, was ich trage.“ Mit einem Schmunzeln gestehe ich mir ein, mit dem Gadget falsch zu liegen. Trotzdem will ich weiter zuhören. Das Gespräch entwickelt sich klischeehaft. Einerseits aus den aktuellen, täglich neuen Enthüllungen um die globale Überwachung, andererseits scheinen Teenager sich mit immer abstruseren Erlebnissen übertreffen zu wollen. So wird über Kleinstüberwachungskameras mit Funkverbindung, die nicht grösser als ein Stecknadelkopf sind, philosophiert. Dann kommt noch Sprachübertragung über einen – in dieser Minikamera eingebauten Lautsprecher – hinzu. Spätestens jetzt bin ich froh, mit dem Rücken zu diesen Kids zu sitzen, da sie so mein belustigtes Grinsen nicht sehen können. Bevor es jedoch zu noch mehr Star Treck Technologie kommt (ein Hologrammprojektor wäre doch auch noch etwas), bemerkt eine der Halbwüchsigen das Surreale und wechselt das Thema. Na ja, nicht direkt…

„Ich wurde mal von einem Hacker verfolgt.“ Aha! Und Stalker sind jene, welche sich in unsere Systeme einschleichen. „Der Typ hat mich umarmt und dabei eine Kamera an meine Jacke geklebt.“ Mir drängt sich die Frage auf, weshalb man sich von Fremden umarmen lässt. „Und wisst ihr, ich hänge meine Jacke immer an meine Zimmertüre.“ Es gäbe ja auch noch Garderoben. „Der hat dann alles beobachtet und ich ziehe mich im Zimmer aus.“ Na hoffentlich nicht in der Küche. Im Prinzip will ich jetzt zu der Gruppe gehen und fragen, weshalb jemand eine Kamera an einer Jacke anbringen soll, wenn er davon ausgehen muss, dass das Kleidungsstück beim Eingang an einer Garderobe hängt, wahrscheinlich noch unter anderen Textilien. Aber die Gruppe lauscht gespannt der Geschichte. Auch wenn die Stromversorgung des Aufnahmegeräts – das auch sehr klein sein muss – nicht klar ist. War ja beim Rucksack auch kein Problem.

Um mich herum grinsen auch andere Mitfahrer die den Horrorgeschichten folgen. Ich lausche noch ein Weilchen den ‚spannenden‘ Geschichten, die ihren Ursprung wohl in zu viel Konsum von Mission Impossible haben. Als meine Station über das Lautsprechersystem angesagt wird, krame ich in meinen Taschen. Ich wollte schon immer den Geheimagentenausweis aus der Mickey Mouse benutzen. (Ja so etwas kann man auch als Erwachsener haben.) Obwohl es dämmert, setze ich mir noch kurz die Sonnenbrille auf und gehe langsam auf die Gruppe zu, wedle kurz mit dem Ausweis und sage mit beschwörendem Unterton: „Ich muss euch inständig bitten, nicht über geheime Überwachungsmethoden zu sprechen.“ Ohne die erstaunten Blicke zu würdigen steige ich aus. Endlich kann ich laut lachen. Was die jungen Leute den Rest ihrer Fahrt reden kann ich nicht wissen. Aber die Vorstellung, dass nun alle ihre Sachen nach Minikameras absuchen, ist erheiternd…


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..