Du kennst das sicher. In einem Small Talk in der Kaffeepause oder auf dem Arbeitsweg mit jemandem erzählst du etwas. Irgendetwas Lustiges oder Verrücktes, das dir wiederfahren ist. Zum Beispiel ist dir der Schlüssel aus der Hand geglitten und direkt in den Gully gefallen. Wie in solchen Gesprächen üblich, möchtest du nur deinen Zuhörer in Erstaunen versetzen oder zum Lachen bringen. Meistens klappt das auch. Als Belohnung darfst du dir einen Schwank deines Gegenübers anhören. Doch bei diesem Zeitvertreib kennen nicht alle Mitmenschen die Spielregeln oder du triffst auf jemanden, der dir deine Geschichte nicht gönnt…
Es ist früh am Morgen und ich warte auf meinen Zug. Gähnend schaue ich umher. Dieselben Gesichter wie immer. Pendeln wird allmählich langweilig, denke ich. In diesem Moment sehe ich aus dem Augenwinkel eine bekannte Gestalt. Schon schallt es an meine Ohren „Guten Morgen“. Ich schlucke den Satz ‚Was ist an einem Morgen gut?‘ herunter und begnüge mich mit einem „Hallo“. Es folgt die logische Frage nach meinem befinden. Dies ist ja auch so ein Gesellschaftsspiel. Versuche mal ehrlich zu Antworten. Der Kioskfrau einfach mal sagen, es geht mir scheisse und mein Alltag kotzt mich an. Mindestens ein Drittel wird antworten ‚Mir auch, danke“, da die Antwort gar nicht gehört wird. Ich spiele also brav mit und entgegne „Gut danke und dir?“.
Eine Sekunde lang – den Gesichtsausdruck interpretierend – befürchte ich, dass dies ein Fehler war. Doch es kommt nur ein „Etwas müde aber sonst ganz ok“. So beginnt das Gespräch und wir plaudern ein paar Minuten belanglos daher. Der Zug fährt ein und wir schieben uns mit der Menge in das Gefährt. Dann bemerkt mein Gesprächspartner das Pflaster an meinem Finger. „Was hast du denn gemacht?“ Es kann also beginnen. Ich erzähle, dass ich in die Messer einer Zwiebelhacke griff. Ja ich bin ab und zu ungeschickt. Dem Spiel entsprechend erzähle ich, wie sehr das Blut floss und wie unangenehm ein Pflaster am Zeigefinger ist. In Erwartung an die regelkonforme Reaktion freue ich mich auf eine Gegengeschichte.
„Das kenne ich. Ich habe schon ein Fleischmesser an der Klinge gehalten…“ und dann folgt die Geschichte, die noch ein wenig schlimmer ist als meine. Ich gebe der Sache aber gerne noch eine Chance. Mit einem abrupten Themenwechsel erzähle ich von meinem Nachbarn, der in kurzer Zeit zum zweiten Mal sein neues Auto in die Werkstatt bringen muss, weil etwas mit der Elektronik nicht stimmt. Doch erneut muss ich hören „Das hatte ich auch schon mal.“ Es geht weiter, aber ich höre nicht mehr zu.
Aller guten Dinge sind drei. Wenn man müde ist, kann es ja sein, dass einem die Regeln der Small Talk Konversation nicht präsent sind. Diesmal versuche ich etwas Mitleid zu erwecken und erzähle von der Lauthals diskutierenden Wandergruppe am Vortag im Zug. „Die waren so laut, dass ein Dösen nicht möglich war.“ So! Nun aber! Weit gefehlt. Natürlich folgt auch hier wieder eine Das-kenne-ich-Geschichte. Da es bei diesem Spiel keinen Unparteiischen gibt, muss das jeder Spieler selbst übernehmen. Ich erachte zwei Neuversuche meinerseits als genügende Verwarnung. Im Fussball würde nun eine rote Karte folgen. Leider habe ich keine mit. Doch es geht natürlich auch anders.
Ich eröffne eine vierte Geschichte. „Ach ja, da war eine Katze. Die kam mit dem Hausschlüssel im Mund daher. Vor der Türe konzentrierte sie sich kurz und hüpfte auf die Falle. Dann hat sie mit der Schnauze den Schlüssel in das Schloss gesteckt und gedreht. Zum Schluss ist sie über die Falle gerutscht und konnte in das Haus.“
Wie erwartet folgt die Antwort „Das kenne ich.“ Ich falle in das Wort. „Echt jetzt? Ich nämlich nicht!“
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