Doppelstöcker

Zugreisen sind schön, auch als Pendler. Zumindest rede ich mir das ein, damit ich mich nicht mit den Händen am Steuer durch den Stau quäle. Ein zweiter Gedanke darüber lässt mich gerade zum Schluss kommen, dass mein Blog ziemlich leer wäre, ohne das tägliche Fahren mit hunderten fremden Menschen.

Ich liebe dabei diese Züge mit zwei Etagen. Sie bieten mehr Platz und in der oberen Etage kann man auch wunderbar die Aussicht geniessen. Ja, so ein Tunnel sieht in zwei Meter Höhe einfach viel besser aus. Nein lieber Leser, ich fahre nicht nur Untergrundbahn.

Trotz den Vorteilen existiert (wie immer) auch eine Kehrseite. Da in einem Wagon mehr Menschen Platz finden, quetschen sich an den Bahnhöfen auch mehr Personen durch die Wagentüre. Das an sich ist nicht schlimm, wäre da nicht die gewisse Spezies der ich hoffentlich nie angehören werde…

Es ist kalt am Bahnhof und mein einziger Gedanke ist, so rasch als möglich in den beheizten Zug einzusteigen. Handschuhe und Schal? Brauche ich nicht trotz Winter. Der Zug – ein Doppelstöcker – fährt ein. Links und rechts der Türe reihen sich jene auf, die denselben Weg wie ich selbst reisen möchten. Wie üblich am Abend strömen die unterschiedlichsten Leute aus dem Zug. Dabei auch jene, die ihren Lebensabend mit Reisen verbringen. Ich begrüsse dies sogar, denn im dritten Lebensabschnitt hat man Zeit und es gibt auch im eigenen Land schöne Orte. Natürlich sind unsere älteren Mitmenschen teilweise nicht mehr so gut zu Fuss. Das respektiere ich genau so, da es mir vielleicht in 100 Jahren auch mal so gehen wird.

Was ich aber nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass gerade jene Leute unbedingt in der oberen Etage reisen müssen. Am Bahnhof quälen sie sich die Treppe hinunter um den Zug zu verlassen. Da aus Sicht der neuen Passagiere niemand mehr aussteigt, wird der Wagon geentert. Mit einem kurzen Blick zur Treppe verharren diese dann, um dem Nachzügler den Weg noch irgendwie frei zu machen. Vom Bahnsteig her drängeln jedoch die restlichen Passagiere in den Zug. Das Resultat ist ein Stau. Der verzweifelte Versuch mit ein paar Schritten Rückwärts den Ausgang zu ermöglichen scheitert an der Menschenschlange dahinter.

Nahezu so geschieht es auch dieses Mal. Dummerweise bin ich zuvorderst und schaffe zwei Drittel der Treppe hoch. Da steht oben an der Treppe ein Herr, gestützt auf einem Gehstock. Hinter mir sind bereits einige Leute, die den gleichen Weg eingeschlagen haben. Mein Dilemma ist perfekt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich umdrehen und mit militärischem Tonfall ‚das Ganze halt und rechtsum kehrt‘ rufen. Die Chancen dabei nur verständnislos angeglotzt zu werden ist hoch. Den Mann oben an der Treppe zum warten aufzufordern wäre natürlich unhöflich. Mein Hirn beginnt zu rechnen. Ich fühle das kräuseln in den Poren, das den Ausbruch des Stressschweisses ankündet.

In dem Augenblick sehe ich den Herrn freundlich lächelnd den Gehstock hin und her schwingen. Dabei mach er einen beherzten Schritt auf die erste Stufe. Kein Hinweis auf Gehschwäche. Meine Poren beruhigen sich und mein nächster Schritt ist klar. Ich steige – auch lächelnd – ihm entgegen und mit einem Ton irgendwo zwischen befehlend und säuselnd verkünde ich ihm: „Die Rolltreppe ist im nächsten Wagon!“ Verdutzt tritt er zur Seite und lässt nicht nur mich vorbeiziehen…


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