Es ist wieder einmal Feierabend und ich stehe am Bahnhof. Mein Zug kommt in knapp 10 Minuten. Ich habe bereits in einem früheren Blog (Quo vadis Sprache) erwähnte, liebe ich es Menschen zu beobachten. Dies ist natürlich auch heute wieder mein Zeitvertreib auf dem Bahnsteig.
Ich muss nicht lange suchen, denn es stellen sich zwei Männer neben mich. Sie sind bereits in einer hitzigen Diskussion. Zumindest scheint es so. Ich starre auf ein Plakat gegenüber und horche ein wenig. Dann kommt der Satz: „Weisst du, sie geht immer wieder eine rauchen.“ Worauf sein Gegenüber meint: „Ja und Hauptsache sie kann plaudern.“
Das klingt ja spannend. Ich stelle mir eine Frau mit Modeschmuck und schickem Kleidchen vor. Sie ist gut geschminkt, nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Gratiszeitung liest sie aufmerksam während ihrer Fahrt zur Arbeit, damit sie die News präsent hat. Ihre Kleidung ist ein eleganter Office Stil. Der Typ Frau, über den die Männer – meistens abwertend – sprechen. In ihrer Gegenwart jedoch ist das maskuline Geschlecht immer freundlich. Keiner bringt den Mut auf, ihr zu sagen, was ihn stört.
Immer noch starre ich auf das Plakat und merke, ich stelle mir genau das Modell vor, das mir da entgegen lächelt. Für wen oder was sie wirbt ist mir egal. Ich hole mich in die Realität zurück und blicke auf die Uhr. Drei Minuten Tagtraum sind ja auch mal nicht schlecht. Der Zug muss in wenigen Minuten einfahren. Ich besinne mich auf das belauschte Gespräch und höre wieder hin.
„Hauptsache den ganzen Tag tratschen und vor dem Haus rauchen!“ Wie jetzt? Die sind noch nicht weiter? Ein paar Sätze höre ich noch zu, dann ziehe ich mein Fazit. Die beiden tratschen vermutlich mehr, als die besprochene Dame. Ich frage mich kurz, woher die Beiden die Häufigkeit der Rauchpausen kennen sollten, wenn sie nicht selbst vor dem Haus stünden? Für eine Sekunde sehe ich die beiden feinen Herren hinter einem Gebüsch hervorlugen. „Siehst du, schon wieder…“
Zum Glück kommt mein Zug an, bevor ich mich noch mehr in meiner Fantasie verliere. Ich hebe meine Tasche hoch und setze zum Einsteigen an. Doch ich komme nicht umhin, den Kopf kurz zu den Tratschern zu wenden. Mit meinem freundlichsten Lächeln sage ich nur drei Worte und steige dann in den Zug: „Fass dich kurz!“
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