Gehört die zu dir?

Geniesst du die schönen Tage auch? Sonne, angenehme Temperaturen und Menschen überall draussen.

Da ich den Frühling auch auskosten möchte, werfe ich mich in meine Kleider und gehe raus. Die Frage, ob alleine oder nicht lasse ich mal offen, da man bei diesem Wetter nie alleine draussen ist. Nach einem kurzen Spaziergang lande ich bei einer Minigolfanlage. Da ich schon eine Weile nicht mehr einen Ball über Betonbahnen gejagt habe, biege ich zur Kasse ein. Ball und Schläger sind rasch geholt – alles Profigeräte versteht sich – und der Frust des Verfehlens kann beginnen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, wer mehr Schläge pro Bahn braucht, kann länger spielen.

Die Anlage ist gut besucht und ich freue mich über die mehr oder weniger interessanten Menschen um mich herum. Aber so richtig beobachten geht beim Spiel nicht. Trotzdem darf ich einer Gruppe junger Menschen helfen, die erste Bahn zu finden. Ein Paar würde mich freundlicherweise vor lassen, was ich dankend ablehne. Ein Indiz dafür, dass sie nicht gerne beobachtet werden, was ich mir jetzt erst recht nicht nehmen lasse. Doch ich werde nicht nur von meinem Golferkönnen sondern auch von diesen beiden enttäuscht.

Endlich habe ich den kleinen Ball bei Bahn 18 versenkt und merke, dass ich eine Profikarriere als Minigolfer besser nicht anstrebe. Doch Sonne und Bewegung – ja auch beim Minigolf bewegt man sich ein wenig – lässt Durst in mir aufsteigen. Also kurzum ein Bierchen kaufen und schon sitze ich an einem Tisch direkt am Rand der Anlage. Jetzt kann ich die Leute endlich in Ruhe beobachten. Das Vierergespann, welches den Start nicht fand, ist noch auf der Bahn. Zwei Männer und zwei Frauen, doch wie die Beziehungen sind, wird mir nicht klar. Jedoch ist es mehr als offensichtlich, dass einer der Männer lieber mit einer der Frauen alleine wäre. Immer wieder sucht er ihre Nähe, doch kaum fühlt er sich durch die anderen Begleiter beobachtet, geht er wieder auf Abstand. Ich bin zwar belustigt und froh nicht mehr 20 sein zu müssen, doch nach kurzer Zeit verliere ich auch dabei das Interesse.

Mein Blick schweift wieder über das Areal. Plötzlich fällt mir eine Familie auf. Es ist die klassische Konstellation mit Mutter, Vater, Tochter und Sohn. Ich brauche nur eine gespielte Bahn um die Rolle der Eltern zu erkennen. Die Mutter ist offiziell zufrieden, da sie eine Familie mit Kindern und den Mann noch hat. Vermutlich leben sie in einem Reiheneinfamilienhaus, sind gut in die Nachbarschaft integriert. Jedoch lassen sie an keinem Nachbarn ein gerades Haar, wenn sich die Türe hinter ihnen schliesst. Der Vater erträgt seine Frau, arbeitet gerne länger und träumt von einer Affäre, traut sich aber nicht mal eine zu suchen. Sein Einkommen reicht für den Unterhalt und einmal im Jahr Billigurlaub aus. Eine Scheidung würde ihn ruinieren, weshalb er den Gedanken gar nicht erst aufkommen lässt.

Wie zur Bestätigung holt er ihren Ball aus dem Loch am ende der Bahn. Er verhindert im letzten Moment eine Verneigung, als er ihr den Ball überreicht. Bingo! Sie haben meine volle Aufmerksamkeit. Meine erste zweite kurze Einschätzung lautet, er ist froh, wenn er seine Ruhe hat. Sie hat das erträumte Klischee Leben, was sie mehr und mehr frustriert. Nun will ich wissen, ob ich richtig liege. Die Vier ziehen zur nächsten Bahn und der Kleine spielt als Erster. Er legt den Ball hin, stellt sich in kindlicher Manier falsch daneben und trifft natürlich nicht gut. Die Reaktion seiner Mutter lässt nicht lange auf sich warten. „Versuchs nochmal Schatz.“ Ich denke gerade daran, ob meine Kinder einen psychischen Schaden erlitten haben, weil ich sie mit Fehlern leben lies. Der Junge holt den Ball und beginnt erneut. Seine ältere Schwester überkommt die Langeweile und sucht sich eine freie Bahn in der Nähe. Sie legt den Ball hin und spielt perfekt mit einem Schlag über das Hindernis ins Loch. Voller Freude ruft sie ihre Eltern und berichtet von ihrem Erfolg. Leider bleibt dieser ihr dabei verwehrt. Weder die Mutter noch der Vater beachten sie. Hätte passieren können, doch sogar mit einem dreifachen Abstand zu dem Mädchen habe ich jedes Wort verstanden.

Es klingt nach einem unbeschreiblichen Hohn, dass die Mutter dann den kleinen für seine überragende Leistung lobt, die Bahn mit ’nur‘ fünf Schlägen geschafft zu haben. Wahrscheinlich haben die Erwachsenen sich das Loben der Kinder aufgeteilt, die Mutter den Sohn und der Vater die Tochter. Doch bei jeder Bahn sehe ich nur die Mutter den Jungen in den Himmel heben, das Mädchen wird dabei immer stummer. Als die Familie die Bahn direkt neben meinem Tisch spielt und ich gerade beschliesse zu gehen, blitzt ein Gedanke in mir auf. Ich stehe auf und gehe freundlich lächelnd auf die Mutter zu. Als sie es bemerkt, blickt sie mich fragend an. Ich hole Luft, zeige auf das Mädchen und frage ganz ruhig: „Entschuldigung, gehört die zu dir?“ Damit lasse ich sie stehen und trete den Weg nach Hause an.


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